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Worauf Andrea Nahles anstoßen könnte

Posted in NachDenkSeiten, SPD with tags , , , on 30. März 2010 by denknachmainz

In den heutigen Hinweisen des Tages bei den NachDenkSeiten finden wir unter der Nummer 8, „SPD: Nahles wirft FDP Wahlbetrug vor“, einen Bericht der Frankfurter Rundschau, demzufolge SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles die Steuerpolitik der FDP als „Wahlbetrug mit Ansage“ und „Trickserei auf leisen Sohlen“ bezeichnet und wie sie der FDP Vorwürfe macht für etwas, das die eigene Partei auf das Heftigste ablehnt, wie Orlando Pascheit richtig kommentiert. Sie gilt ihm damit als „gutes Beispiel für die Unredlichkeit bzw. die Inkonsistenz einer wahllosen, allbereiten Kritik am politischen Gegner„. Er übersetzt ihre Ausführungen ganz richtig so, dass Nahles es der FDP peinlicherweise hoch anrechnen müsste, sollte diese es schaffen, ihre Wahlversprechen einzulösen.

Orlando Pascheit empfiehlt daher: „Sie sollte sich still in eine Ecke setzen und mit Freunden [lediglich] darauf anstoßen, dass der Kelch an uns vorüber gegangen ist.“ Das wäre zwar möglich und korrekt, doch zugleich ist dieser Ratschlag zeitgeistgemäß halbherzig. Meiner Meinung nach sollte sich Andrea Nahles – sozialdemokratischen Geist vorausgesetzt! – leise in eine Ecke setzen und vielmehr mit Freunden darauf anstoßen, dass der politische Gegner mit seinen opportunistischen, populistischen Wahlversprechen so hilflos gescheitert ist und dementsprechend geschwächt in die nächsten Auseinandersetzungen eintreten wird!

Dass sie sich für den nächsten Anlauf der FDP wappnen sollte, bleibt davon unberührt und ist auch nur die halbe Miete. Natürlich müssten Nahles und die SPD auch endlich mal wieder einen minimal sozialdemokratischen Geist reaktivieren!

„Institut Solidarische Moderne“ – eine sehr begrüßenswerte Initiative und ein sehr nachbesserungsbedürftiger Titel und Text

Posted in GRÜNE, LINKE, NachDenkSeiten, SPD with tags , , on 19. Februar 2010 by denknachmainz

Nachdem ich hier bereits den Gründungstext des „Instituts Solidarische Moderne“ präsentiert hatte, reiche ich hiermit die Bewertung von NachDenkSeiten-Begründer Albrecht Müller nach, die zuerst am 5. Februar in den NachDenkSeiten veröffentlicht wurde.


Die Idee, die verschiedenen Kräfte diesseits von Schwarz-gelb zu sammeln, ist ausgesprochen begrüßenswert. Zur Aufklärung, die wir mit den NachDenkSeiten und andere täglich betreiben, muss die politische Aktion und Bündelung hinzukommen. Deshalb war ich total aufgeschlossen, an diesem Projekt mitzuwirken. Aber sowohl der Name des Projektes als auch der Gründungsaufruf haben mich eher irritiert. Wir regen dringend an nachzubessern – bei Titel, Gründungsaufruf oder neuen Texten.

Es wäre wünschenswert, wenn die folgenden, von großem Wohlwollen für das Projekt getragenen kritischen Anmerkungen Widerhall fänden:

  1. Breite Anlage des ProjektesWenn man ein Gegengewicht zur herrschenden und mächtigen neoliberalen Bewegung schaffen will, dann muss man das breit anlegen, dann muss man viele Menschen mitnehmen und Gruppen mit verschiedenem wissenschaftlichen weltanschaulichen Hintergrund eine Basis bieten:
    • Titel und Text dürften jedoch viele Menschen Distanz wahren lassen . Die nicht soziologisch geschulten, normal ausgebildeten Zeitgenossinnen/en werden schon durch den Titel irritiert, auch wenn sie politisch interessiert sind. Sie verstehen einfach nicht, was „Moderne“ sein soll. „Institut Solidarische Moderne“ ist auch nicht gerade volksnah. Mit solchen abgehobenen Begriffen gibt man sich eine unnötige Blöße und entfremdet sich von der notwendigerweise zu gewinnenden Mehrheit.
    • Im Text selbst werden die Leser und Leserinnen überhäuft von Fremdwörtern und Begriffen, die nur nachvollziehbar sind, wenn man sich in entsprechenden Subkulturen bewegt. Fragen Sie Ihren politisch interessierten Nachbarn, ob er „Crossover“ versteht, immerhin ein Schlüsselbegriff für die vorgesehene Aktivität. Mit Verlaub: Ich habe Schwierigkeiten, mit diesem Begriff etwas Konkretes zu verbinden. Die Überhäufung mit Fremdwörtern schadet dem Anliegen. Denn auch gute Aussagen werden mit dieser schwammigen Sprache und diffusen Sprachcodes entwertet.
    • Der Text ist voll von Sätzen, die nur aus Sprachsignalen bestehen, die jedoch der normale Mensch nicht versteht. Ein Beispiel von vielen:

      „Zum anderen geht es darum, die aufgesetzte Rhetorik der ‚Flexibilisierung’ zu entzaubern und die Suggestion permanenter Optionssteigerungen sowie die Fiktion unbegrenzter individueller Entfaltungsmöglichkeiten im flexiblen Kapitalismus der „Wissensgesellschaft“ als Ideologie zu enttarnen.“

      Noch ein Beispiel:

      „Wie kann die globalisierte kapitalistisch-fossilistische Ökonomie in eine nachhaltige Bewirtschaftung unseres Planeten transformiert werden?“

      Ich verstehe das nicht. Ich bin offensichtlich zu ungebildet.

  2. Man wird als Unterstützer mit diesem Text gezwungen, in das Denksystem bestimmter soziologischer Schulen einzutauchen. Es wird aber vielen so gehen wie mir, dass sie mit Begriffen wie „industrielle Moderne“, „Postdemokratie“, „Postmoderne“, „industrielle Linke“ und ähnlichen Begriffen sowie den dahinter steckenden Theoremen oder von Soziologen geprägten Denkmustern nichts anfangen können. Sollen wir ausgeschlossen bleiben? Sollen wir uns den Begriffen und Denksystemen von Soziologen wie Ulrich Beck beugen, der eng mit Antony Giddens, einem der Wegbereiter des Blair-Schröder-Papiers und der Agenda 2010, zusammengearbeitet hat? Das ist doch wohl nicht zumutbar.
  3. Der Text ist auch geprägt von einer seltsamen Betrachtungsweise der jüngeren Geschichte. Wie in manchen anderen Texten findet man hier die Vorstellung, dass es in den letzten 40 Jahren einen Bruch gegeben habe und dass wir heute in einer „neuen Zeit“ leben. Wir leben in einer „veränderten Welt“, heißt es. – Das stimmt immer.
    Der Gedanke, das alles neu sei, dass wir vor völlig neuen Herausforderungen stehen, war die Basis der Schröderschen „Reformpolitik“. Wir haben in den NachDenkSeiten auf vielfältige Weise schon belegt, dass diese Behauptung ein Trick ist, mit dem erfolgreiche soziale Einrichtungen und Regelungen wie z.B. die gesetzliche Rente und jetzt die gesetzlichen Krankenkassen zerstört werden. Alles ist neu, diese groteske Vorstellung ist letztlich auch die Basis der massiven Privatisierungspolitik. Der Denkfehler Nummer 1 in „Die Reformlüge“ lautet „Alles ist neu“. Dort wird erklärt, was und wie mit diesem Trick gearbeitet wird.
  4. Wer der Vorstellung vom Bruch der Geschichte und von der „neuen Zeit“ huldigt, entlässt letztlich jene, die das Elend angerichtet haben, unter dem Millionen leiden, aus der Verantwortung. In der Welt der Autoren kommt der reale Siegeszug der Neoliberalen von ihrem Einfluss auf die Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik Pinochets über Ronald Reagan und Margret Thatcher bis zu Lambsdorff, Tietmeyer und Kohl nicht vor. Die Akteure der Veränderung werden nicht benannt und nicht verantwortlich gemacht. Es ist einfach nur die „neue Zeit“. Die Verantwortlichen können ihre unsoziale und Ressourcen verschwendende Politik als den neuen Herausforderungen gemäß verkaufen.
  5. Der Text schließt jene aus, die in der Vergangenheit versucht haben, die Politik im Interesse der Wertvorstellungen dieser neuen Initiative mit dem Titel Solidarische Moderne zu gestalten. Sie, die früher politisch Aktiven der „industriellen Moderne“ hatten angeblich keinen Sinn für Ressourcenknappheit und die ökologischen Probleme und auch nicht für Emanzipation und Selbstbestimmung. Hier wird ein Popanz aufgebaut. In welcher Welt leben die Autoren dieses Textes? Haben die 68er und ihre Vorboten in den sechziger Jahren nicht um Selbstbestimmung gekämpft? War ihnen Emanzipation fremd? Haben die Autoren noch nie etwas davon gehört, dass der IG Metall Vorsitzende Otto Brenner im April 1972 in Oberhausen eine Konferenz zum Thema Lebensqualität und damit zum Thema der Knappheit der Ressourcen und der Notwendigkeit ökologischer Vorsorge ausrichtete? Im Wahlprogramm der SPD von 1972 war Lebensqualität und Ökologie neben der Ostpolitik und der Sozialpolitik ein gleichrangiger Schwerpunkt. Im SPD-Steuerreformprogramm von 1971 gibt es die Forderung nach einer Abgabe auf umweltfeindliche Produkte. Willy Brandt hat 1960 schon den Finger in die Wunde gelegt. Und in Teilen der ökonomischen Wissenschaft, der Welfareeconomics, haben wir uns seit Ende der Fünfzigerjahre mit diesen Themen beschäftigt. Und die praktische Politik nach 1969 war über längere Zeit geprägt von ökologisch orientierten Entscheidungen – mühsam und immer mit Gegenwind, aber immerhin. Muss ich das alles vergessen und hinter mich werfen, um diesen Gründungsaufruf unterzeichnen zu können?
    Eine neue Bewegung zur Sammlung der Kräfte jenseits von Schwarz-gelb sollte jedenfalls nicht jene ausschließen, die sich schon immer auf der jetzt als notwendig erkannten gemeinsamen Basis bewegt haben.
    Hier geht es nicht um Alt und Jung, hier geht es darum, dass man Bewährtes nicht ausschließt in der so genannten „neuen Zeit“. Damit bin ich bei einem noch wichtigeren Punkt:
  6. Der Gründungsaufruf macht es jenen Politikern, Wissenschaftlern und interessierten Bürgerinnen und Bürgern, die eine aktive Beschäftigungspolitik für dringend notwendig halten, besonders schwer, bei diesem Projekt mitzumachen. Beschäftigungspolitik, Vollbeschäftigungspolitik, Makropolitik und Globalsteuerung kommen in diesem Text nicht vor. Die „Reservearmee“ von arbeitslosen Menschen abzubauen und ihnen wieder Alternativen zu bieten, ist jedoch eine der zentralen Voraussetzungen dafür, dass mit ihnen nicht mehr so umgesprungen werden kann, wie das heute der Fall ist. Niedriglohnsektor, prekäre Arbeitsverhältnisse, Leiharbeit, Ein-Euro-Jobs – das ist doch alles mit eine Folge dessen, dass Arbeitnehmer nicht mehr Nein sagen können, weil sie keine Alternative haben. Alles was wir an Rechten für Arbeitnehmer erkämpfen können, ist so viel wert, wie es die Kräfteverhältnisse auf dem Arbeitsmarkt abzusichern vermögen. – Weil das leider so ist, gibt es zumindest ein wichtiges Segment von Menschen, Politikern und Wissenschaftlern in der linken Szene, die die Ankurbelung der Binnennachfrage und die Verbesserung der Reallöhne und der Lohnquote für eine zentral wichtige Angelegenheit halten.
    Es ist ja nicht notwendig, dass alle Gruppierungen einer neuen Sammlungsbewegung diese Sicht der Dinge und diese wirtschaftspolitischen Vorstellungen teilen. Aber diese Gruppe von Menschen, die eine makroökonomische Position einnehmen und eine aktive Beschäftigungspolitik einschließlich von Konjunkturprogrammen für wichtig halten, darf doch nicht ausgeschlossen bleiben!
  7. Die Idee für die NachDenkSeiten entstand unmittelbar im Anschluss an die Gründung der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft vom Oktober 2000. Seit November 2003 werben wir mit dieser Internetseite für die Einsicht, dass es den herrschenden Kreisen mit dem Mittel der Propaganda, der Manipulation und der Irreführung gelingt, die politischen Entscheidungen wesentlich in ihrem Sinne zu bestimmen und uns damit auch zu beherrschen. Wir werben in unseren Texten in der NachDenkSeiten wie dann auch konzentriert im Buch „Meinungsmache“ für die Einsicht, dass sich die Chance für eine Alternative zum neoliberal geprägten rechtskonservativen Block nur dann öffnet, wenn es gelingt, eine Gegenöffentlichkeit zur Meinungsmache der Herrschenden aufzubauen. Das hat eine der Initiatoren des Instituts Solidarische Moderne, Andrea Ypsilanti, bei ihrem Versuch, in Hessen eine Alternative zu bieten, praktisch erfahren. Das hat die Linkspartei im Bundestagswahlkampf erfahren. Erst als die aggressive publizistische Machtausübung der neoliberal geprägten Gruppen und Medien zum Thema wurde, waren potentielle Wählerinnen und Wähler gegen diese Dauermanipulation wenigstens einigermaßen immunisiert. – Im vorliegenden Text des Gründungsaufrufs ist nicht zu erkennen, dass die Autoren die Bedeutung der Meinungsmache und der Medien für das bisherige Scheitern einer potentiell linken Mehrheit erkannt haben und damit die Notwendigkeit zum Aufbau einer Gegenöffentlichkeit für eine der zentralen Angelegenheiten einer neuen Bewegung halten. Das ist schade, denn wenn sie das nicht verstehen, dann wird auch diese Bewegung unter dem Gewicht der finanziellen und publizistischen Macht der herrschenden Kreise zerbröseln wie das auch andere linke Sammlungsbewegungen erfahren mussten.
  8. Bei der weiteren Arbeit der neuen Sammlungsbewegung sollte man vielleicht auch beachten, dass es nicht nur Fragen gibt, wie sie auf den letzten beiden Seiten des Gründungsaufrufs formuliert werden. Es gibt jetzt schon viele Antworten, auf die man sich verständigen könnte und müsste.
  9. Und es gibt noch einige ermunterte Möglichkeiten der offensiven Auseinandersetzung mit der herrschenden Ideologie. Zwei Beispiele will ich nennen, weil sie im vorliegenden Gründungsaufrufs noch nicht gebührend aufgenommen sind:
    • Die um sich greifende Korruption in Politik und Medien. Sie wirft ein Licht auf den wahren Charakter der herrschenden Kreise und Ideologie.
    • Das Versagen der neoliberalen und rechtskonservativen Kräfte auf ihrem ureigenen Gebiet: bei der Effizienz. Die neoliberalen Rezepte erweisen sich immer mehr als nutzlos und verschwenderisch. Die Neoliberalen sind an ihrer eigenen Ideologie und deren Dogmen gescheitert (Vgl. das Dogma der Deregulierung und ihre Konsequenzen bei der Finanzkrise) . Das sollte man ihnen nicht durchgehen lassen. (Siehe zum Thema auch „Der neoliberalen Ideologie mangelt es auch an ökonomischer Effizienz“ und Teil II)

Es wäre den Initiatoren der neuen Sammlungsbewegung und uns allen zu wünschen, dass sie erfolgreich sind. Das setzt neben anderem voraus, dass diese Initiative die Fähigkeit zur Vielfalt hat. Die hier notierten kritischen Punkte und Anregungen sollen helfen, die Texte so anzulegen, dass sich auch bisher Skeptische auf einer gemeinsamen Plattform finden können. Die gemeinsame Basis kann eine einvernehmliche Wertorientierung sein.

Das „Institut Solidarische Moderne“

Posted in GRÜNE, LINKE, SPD on 1. Februar 2010 by denknachmainz

Das Rot-Rot-Grüne Projekt (der Zukunft) hat seinen eigenen Think Tank: das „Institut Solidarische Moderne“! Vertreter von LINKEN, GRÜNEN und der SPD haben am Sonntag die Initiative gestartet, die sich im Jahr 2010 die Gründung und den Aufbau des Instituts, zwei politische Tagungen sowie die Veröffentlichung eines ersten Memorandums vorgenommen hat.

Detlev von Larcher (attac) berichtet, dass ca. 60 Gründungsmitglieder anwesend waren, darunter auch bekannte Attacies: Birgit Mahnkopf, Elmar Altvater, Sabine Leidig, Sven Giegold, Tom Seibert, Arvid Bell und er selbst. Ebenfalls gute Bekannte sind Katja Kipping, Sonja Buckel, Andrea Ypsilanti, Hermann Scheer, Anke Martiny, Franz Alt, Kolja Möller, Wolfgang Wodarg u.v.a. Michael Backmeier ist Geschäftsführer, Schatzmeister ist Reinhard Karl.

In den Gründungsvorstand wurden gewählt: Andrea Ypsilanti, Katja Kipping, Sven Giegold, Anke Martiny, Thomas Seibert als gleichberechtigte SprecherInnen. Weitere Mitglieder des Gründungsvorstandes sind: Jürgen Borchert, Arvid Bell, Franziska Drohsel, Wolfgang Neskovic, Klaus Dörre. SprecherInnen des Kuratoriums sind: Birgit Mahnkopf, Sonja Buckel, Stephan Lessenich, Hermann Scheer, Franz Alt, Hans Urban.

Berichtet haben darüber schon die taz (mit Kommentar), die Frankfurter Rundschau, die junge Welt, die FASZ, DerWesten und die WELT, einige davon mit einem eher tendenziös schwerwiegenden Bezug auf die Rolle Andrea Ypsilantis (bei der FASZ heißt es gar: „Ypsilanti schafft rot-rot-grüne Denkfabrik“!); manche Medien nennen das Institut einen Verein, worauf sie bei neoliberalen Denkfabriken mit einem „Institut“ im Namen nie kämen. Die taz kürzt das Institut Solidarische Moderne genüsslich ab mit dem Akronym ISM, das dem INSM des Gegners doch sehr ähnlich sieht. Nicht in Konkurrenz treten soll das Institut Solidarische Moderne mit den linken Parteistiftungen, mit attac oder anderen linken Initiativen und Gruppierungen.

Na, dann viel Glück von unserer Seite!

Gründungsaufruf des „Instituts Solidarische Moderne“

verabschiedet auf der Mitgliederversammlung des Vereins am Sonntag, den 31. Januar 2010 in Berlin

Die Zeit ist reif für einen neuen Politikentwurf. Die existenziellen gesellschaftlichen Gefahren verlangen politisch realisierbare Antworten. Die Probleme unserer Welt sind offenkundig: von den ökologischen und wirtschaftlichen Grenzen des bisherigen ressourcenvernichtenden Wachstums bis zum gravierenden Gefälle zwischen individueller Reichtumsanhäufung und um sich greifender Armut, von der alltäglichen Missachtung der Menschenrechte bis zu vielen neuartigen Konflikten und Friedensgefährdungen. Doch obwohl inzwischen all diese Probleme hinlänglich bekannt und Gegenstand zahlreicher Weltkonferenzen gewesen sind, haben sie sich in den letzten beiden Jahrzehnten dramatisch zugespitzt. Wesentlicher Grund dafür ist die Hegemonie des Neoliberalismus in Politik und Wirtschaft, der unter dem Deckmantel vermeintlicher „Ideologiefreiheit“ und „Alternativlosigkeit“ einen beispielhaften Siegeszug feierte – mit verheerenden Folgen für Mensch, Natur und Gesellschaft.

Ein substanzieller politischer Gegenentwurf zur Ideologie des Neoliberalismus ist überfällig. Zu lange wurde verkündet, dass es (leider) keine Alternative gebe. Manches auf der Welt mag „alternativlos“ sein: Wer Probleme langfristig lösen will, anstatt kurzfristig Symptome zu bekämpfen, muss auch vernetzt und langfristig denken, dazu gibt es keine Alternative. Eine politische Position hingegen kann niemals alternativlos sein. Die politische Alternative zum Neoliberalismus muss die untrennbaren Wirkungszusammenhänge von Ökologie und Wirtschaft sowie von sozialen und kulturellen Bedürfnissen der Menschen beachten. Sie muss den Grundwerten der freiheitlichen Selbstbestimmung und der grenzüberschreitenden Solidarität verpflichtet sein. Diese Alternative entsteht nicht von selbst. Sie muss erdacht, entwickelt und erprobt werden. Die gemeinsame Suche nach Alternativen ist ein entscheidender Beitrag dazu, dass aus der danach fragenden gesellschaftlichen Mehrheit wieder eine politische Mehrheit in demokratischen Wahlen wird. Dafür gründen wir den Verein „Institut Solidarische Moderne“.

Was geschieht?

Wir leben in einer Welt, die immer stärker geprägt wird von den Resultaten einer von gesellschaftlicher Verantwortung entbundenen und nur noch an kurzfristigen Renditen ausgerichteten Marktwirtschaft. Wir erleben einen weltweit sich durchsetzenden Wettbewerb um – aus Perspektive der Profiteure – „billige“ Arbeit, „billige“ Nahrung und „billige“ Energie, der sich als sozial, kulturell und ökologisch gleichermaßen ruinös erweist und dessen ökonomische „Effizienz“ mit guten Gründen zu bezweifeln ist. Zunehmend mehr Menschen leiden unter einer Politik, die in Bezug auf deren alltäglichen Nöte ebenso wie auf die globalen Probleme der Menschheit ihre vermeintliche Ohnmacht oder Unzuständigkeit erklärt, für die Rettung der Finanzmärkte und die Sicherung „systemrelevanter“ Partikularinteressen aber zu ebenso massiven wie kostspieligen Interventionen bereit ist.

Die BürgerInnen des demokratischen Rechtsstaates sind ZeugInnen und Geschädigte eines teils schleichenden und subtilen, teils rasanten und unverhohlenen Abbaus persönlicher Selbst- und gesellschaftlicher Mitbestimmungsrechte und einer Erosion der Demokratie, die mit dem Aufbau ausufernder Apparate zur Kontrolle und Überwachung, Einlullung, Stillstellung und Disziplinierung der Bevölkerung einhergeht. Sie erleben die anhaltende Herrschaft patriarchaler Strukturen, die Entrechtung von MigrantInnen, die Diskriminierung all jener Menschen und Lebensformen, die nicht den normativen Standards der Mehrheitsgesellschaft entsprechen. Eine sozial wie ökologisch weitgehend entpflichtete Wirtschaft einerseits, eine politisch entmündigte und in ihrer Vielfalt eingeschränkte Gesellschaft andererseits, „Turbokapitalismus“ und „Postdemokratie“: Das sind die weltweiten Konturen des real existierenden Neoliberalismus. Während in den Zentren der westlichen Wohlstandswelt viele Menschen, einstweilen noch auf hohem Niveau, daran leiden und zu resignieren beginnen, hungern und sterben andernorts Menschen.

Der nationale wie globale Neoliberalismus profitiert von politischer Enttäuschung und sozialer Apathie, von „Parteienverdrossenheit“ und widerspruchslosem Privatismus, wo es um die aktive Mitwirkung an der Gestaltung gesellschaftlicher Verhältnisse geht. Es gehört zum Alltagsgeschäft neoliberaler „Modernität“, die politische Rat- und Tatlosigkeit der BürgerInnen zu beklagen – und sie gleichzeitig zu befördern. Neoliberale Politik lebt von gesellschaftlicher Lethargie, politischem Desinteresse, sozialer Demobilisierung, demokratischer Enthaltsamkeit, kurz: von der Leblosigkeit der Demokratie.

Wo setzen wir an?

Zur politischen Verwirklichung von Werten wie Freiheit und Gleichheit, Gerechtigkeit und Solidarität, Autonomie und Partizipation ist eine lebendige Demokratie unerlässlich. Diejenigen, denen diese Werte zweitrangig sind, können auf eine demokratische Gestaltung der Gesellschaft und zumal auf die soziale Demokratie – und das heißt auch auf einen Staat, der die Lebenschancen und Selbstentfaltungsrechte aller BürgerInnen garantiert – im Zweifelsfall verzichten. Sollen solche Werte jedoch gesellschaftlich realisiert werden, so gilt es zuallererst, die Demokratie wiederzubeleben und in demokratischer Selbstbestimmung Alternativen zum Bestehenden zu denken.

Für eine Solidarische Moderne!

Die Debatten darüber, was „links“ ist, haben in der Vergangenheit allzu oft dazu geführt, die gesellschaftliche Linke zu spalten, sie handlungs- und politikunfähig zu machen. Aber damals wie heute geht es darum, dass Menschen zusammenkommen, um solidarische und emanzipatorische Alternativen zur herrschenden Politik zu entwickeln und durchzusetzen. Denn die Verwirklichung der Emanzipation ist eine historische Aufgabe, die sich immer wieder neu stellt. In jeder Epoche wird es Hindernisse und auch Rückschläge geben, wie zuletzt die Jahre neoliberaler Hegemonie. Umso mehr bleibt aber die Notwendigkeit gemeinsamen Handelns für eine solidarische Gesellschaft bestehen, in der alle Menschen gleichberechtigt in Freiheit und Selbstbestimmung leben können.

Mit der „industriellen Moderne“ vollzog sich nicht nur die gesellschaftliche Durchsetzung der Warenökonomie, sondern auch, als Erbe der Aufklärung, der Aufstieg jener politischen Leitideen, die das Denken und Handeln der „klassischen“ Linken bestimmten: Gleichheit und Gerechtigkeit, Solidarität und Demokratie. Die soziale Frage des Industriezeitalters und der „industriellen Linken“ war die Frage nach der Verteilung des gesellschaftlich geschaffenen Mehrprodukts. Kritik am Kapitalismus entzündete sich in Form von Gerechtigkeitsforderungen vorrangig dort, wo materieller Reichtum ungleich verteilt wurde. Das soziale Handeln richtete sich auf die materielle Verwirklichung der Ideen der Aufklärung, auf solidarische Formen des Wirtschaftens und verstärkte Teilhabe der „Arbeit“ am zunehmenden gesellschaftlichen Wohlstand. Die industrielle Linke stieß jedoch an ihre politischen Grenzen, als der moderne Industriekapitalismus an seine Wachstums- und Ressourcengrenzen stieß – bzw. nicht zuletzt durch die „postindustrielle Linke“ darauf gestoßen wurde. Zu den konzeptionellen Schwächen der industriellen Linken gehörte und gehört ebenso die Fokussierung auf Erwerbsarbeit und eine damit einhergehende Ignoranz gegenüber anderen, gesellschaftlich gleichermaßen bedeutenden Tätigkeiten wie Reproduktionsarbeit, politisches Engagement, Bildungsarbeit und Muße. Nicht zuletzt bestand ein maßgeblicher Fehler der politischen Linken darin, zwar den Kapitalismus als System der Ausbeutung der übergroßen Mehrheit durch eine privilegierte Minderheit zu identifizieren, nicht aber zugleich andere gesellschaftliche Herrschaftsstrukturen, wie etwa das Patriarchat als System der Unterdrückung von Frauen, ins Zentrum der Kritik zu stellen.

Auf der Grundlage des insbesondere von der organisierten ArbeiterInnenbewegung durchgesetzten breiten materiellen Wohlstands in den Nachkriegsgesellschaften entwickelte sich in der westlichen „Postmoderne“ ein breites Spektrum neuer sozialer Bewegungen, namentlich die zweite Umweltbewegung, die neue Friedensbewegung und die zweite Frauenbewegung, sowie eine neue alternative Linke, für die immaterielle Bedürfnisse und neue soziale Fragen stärker in den Mittelpunkt des Interesses rückten: individuelle Entfaltungsfreiheit und Selbstbestimmungsrechte, kulturelle Vielfalt und demokratische Partizipation, Geschlechtergerechtigkeit und der Schutz der natürlichen Umwelt. Was über der Kritik an der industriellen Moderne und an deren politischen Trägern allerdings zum Teil verloren ging, war das Bewusstsein für die anhaltende Bedeutung der „alten“ sozialen Frage auch in der „neuen“ Welt des Dienstleistungs-, Wissens- und Informationskapitalismus: Die Frage nach der Verteilung des materiellen Reichtums war mit der Zunahme immaterieller Arbeit und individueller Selbstverwirklichung keinesfalls „gelöst“ oder obsolet geworden. Und dies nicht einmal in den kapitalistischen „Zentren“ der Welt (wo sie allenfalls durch wirtschaftliches Wachstum überdeckt wurde), geschweige denn in den Gesellschaften der „Peripherie“ bzw. des „globalen Südens“ oder gar im Verhältnis beider zueinander.

Was muss geschehen?

Im Lichte der langen Erfahrungsgeschichte der demokratischen Organisationen und Bewegungen der Linken, ihrer historischen Erfolge und auch ihrer strategischen Irrtümer, muss eine linke Politik auf der Höhe der Zeit für eine andere Moderne stehen und einstehen. Sie muss für eine Moderne streiten, die beides in sich vereint und weiterentwickelt: die Verteilungssensibilität der „alten“ und die individuellen Selbstbestimmungsansprüche der „neuen“ Linken. Am Beginn des 21. Jahrhunderts hat sich die Linke den nicht zu leugnenden Problemen einer veränderten Welt zu stellen – einer Welt, die solidarisch gestaltet werden muss.

Unter dem Begriff der Solidarischen Moderne verstehen wir die so dringend erforderliche Versöhnung zwischen den emanzipatorischen Ansätzen der Industrie- und der Postmoderne und ihre Weiterentwicklung zu einer sozial-ökologischen Antwort auf die Fragen der neuen Zeit. Die neue Zeit braucht den politischen Kampf um die gleiche Teilhabe aller BürgerInnen an den gesellschaftlich produzierten Werten, für die öffentliche Garantie gesellschaftlich angemessener Existenzbedingungen und gleicher Lebenschancen für alle. Die neue Zeit braucht den politischen Kampf um kulturelle Selbstbestimmung und demokratische Mitbestimmung, für eine Politik der gleichen öffentlichen Wertschätzung und Unterstützung unterschiedlicher Lebensweisen. Die neue Zeit braucht den politischen Kampf um eine ökologische Ökonomie, die sich auf erneuerbare Ressourcen stützt und die sozialen Kosten von Klima- und Umweltschäden vermeidet, den Kampf für eine gerechte Welt, in der niemand zu Lasten anderer lebt und in der Konflikte friedlich gelöst werden, in einem Geist kosmopolitischer Solidarität.

In der Solidarischen Moderne muss emanzipatorische Kritik am Kapitalismus, am Patriarchat, an der bestehenden Gesellschaftsform neu bestimmt werden – ohne alle Räder neu erfinden zu müssen: Es gilt, die Umverteilung materieller Ressourcen und die Anerkennung gesellschaftlicher Vielfalt miteinander zu vereinen. Es gilt zudem, Kritik als Herrschaftskritik zu erneuern, im Kampf für die Emanzipation aller Menschen und ihrer Befreiung von allem, was unterdrückt, verdummt und bevormundet. Und es gilt, Kritik als Demokratiekritik zu schärfen, genauer: als Kritik an der real existierenden Demokratie, deren fortschreitende Verkümmerung insbesondere diejenigen spüren, die von gelebten demokratischen Verhältnissen etwas, bisweilen auch sehr viel, zu gewinnen hätten.

In der Solidarischen Moderne muss schließlich die geistige und politische „Enteignung“ der alten und neuen sozialen Bewegungen durch den Kapitalismus überwunden werden. Die Linke der Solidarischen Moderne muss sich gegen das liberalkapitalistische Versprechen der Wohlfahrtseffekte liberalisierter Märkte wehren, gegen die Privatisierung der öffentlichen Leistungen und Infrastrukturen und gegen die industriekapitalistische Verheißung grenzenlosen Wachstums, im Zuge dessen sich auch die Verteilungsfrage von selbst erledige. Zum anderen geht es darum, die aufgesetzte Rhetorik der „Flexibilisierung“ zu entzaubern und die Suggestion permanenter Optionssteigerungen sowie die Fiktion unbegrenzter individueller Entfaltungsmöglichkeiten im flexiblen Kapitalismus der „Wissensgesellschaft“ als Ideologie zu enttarnen. Sie muss eine breite gesellschaftliche Bewegung zur wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Berechtigung der BürgerInnen sein, die sich gegen die Tendenz wendet, wonach die Verantwortung für die Herstellung des Sozialen immer weniger in der „öffentlichen Hand“ liegen könne und immer stärker in die „Eigenverantwortung“ der Einzelnen zu überführen sei. Sie muss für die Aufrechterhaltung und den Ausbau einer Infrastruktur öffentlicher Güter streiten und sich für deren solidarische Finanzierung einsetzen. Sie muss in all diesen und vielen weiteren Belangen darauf hinwirken, dass gesellschaftliche Mehrheitserwartungen an eine solidarisch-moderne politische Gestaltung der Gesellschaft – die es durchaus gibt – sich auch in entsprechende politische Mehrheitsbildungen überführen lassen.

Was wollen wir tun?

Der Verein „Institut Solidarische Moderne“ will – im Rahmen seiner Möglichkeiten – einen gesellschaftlichen Diskurs anstoßen, der diese Veränderungsprozesse trägt. Der Verein bringt politische Menschen aus gesellschaftlichen Organisationen und aus politischen Parteien, aus akademischer Wissenschaft und aus sozialen Bewegungen zusammen, die Impulse für alternative Programme und eine alternative Politik geben wollen. Er versteht sich als Denkwerkstatt, als „think tank“ für politische Zukunftsentwürfe und organisiert seine Arbeit in einem Rahmen, der offene und innovative Mitwirkungsmöglichkeiten für all jene bereitstellen soll, die sich dem politischen Projekt einer Solidarischen Moderne verbunden fühlen.

Die hinter der Gründung des Vereins „Institut Solidarische Moderne“ stehende Wahrnehmung einer mangelnden diskursiven und politischen Gegenwehr gegen den auf vielfältige Weise bereits materialisierten neoliberalen Zeitgeist und dessen Zumutungen bedingt auch dessen Leitidee: ein Forum der gesellschaftlichen Debatte für einen Gegenentwurf zur herrschenden Politik zu sein. Der Verein soll und wird ein Forum nicht nur des thematischen Brückenschlags sein, in dem Bewusstsein, dass solidarisches Handeln und ökologische Wende auf das Engste miteinander verbunden sind. Er wird auch ein Ort des personellen und des politischen, zudem des europäischen und des internationalen „Crossover“ sein und sein müssen, wenn ihm ein spürbarer und nachhaltiger Erfolg beschieden sein soll. Indem er im Denken und Handeln zusammenführt, was gesellschaftspolitisch zusammengehört, knüpft er einen neuen, sichtbaren Faden durch die politische Landschaft, der die Gemeinsamkeiten unterschiedlichster Akteure herausarbeitet und zu gestaltungsfähigen Alternativen profiliert.

Zu einem gewissen Teil wird es dabei „nur“ nötig sein, bereits existierendes politisches Problem- und Lösungswissen gesellschaftlich zu verbreiten und zu popularisieren. Zu einem anderen – größeren – Teil allerdings wird es darum gehen müssen, sich den substanziellen Fragen unserer Zeit zu stellen und um praktikable Antworten zu ringen. Dies wollen wir gemeinsam tun: fragend gesellschaftspolitische Alternativen eröffnen.

Um was geht es?

Soziale Ökonomie: Wie lässt sich die wirtschaftliche Globalisierung sozial und ökologisch einbetten? Wie wäre die internationale Wirtschafts- und Finanzordnung umzugestalten, wie könnte eine Demokratisierung nationaler Wirtschaftsstrukturen vollzogen werden?Wie kann Erwerbsarbeit so (um)gestaltet werden, dass heute gefährdete Humanisierungserfolge der Vergangenheit wiederhergestellt und weiter vorangetrieben werden? Wie kann die öffentliche Daseinsvorsorge in ihrer sozialen Produktivität erhalten bzw. erneuert werden? Wie kann durch eine erweiterte Finanzierungsbasis der öffentlichen Hand das jeweils von allen erwirtschaftete Mehrprodukt auch allen Gesellschaftsmitgliedern in gerechten Anteilen zugute kommen, trotz Internationalisierung der Wirtschaft? Wie kann eine nachhaltige Finanzpolitik aussehen, die den Prinzipien der Generationensolidarität verpflichtet ist, auch und gerade in Zeiten einer alternden Gesellschaft? Wie kann eine moderne solidarische Ökonomie jenseits von traditioneller Privatwirtschaft und Erwerbsarbeit organisiert werden?

Ökologische Gerechtigkeit: Wie kann und muss die Transformation zu einer ökologisch dauerhaft erneuerbaren Ressourcenbasis, weg von quantitativem Wachstum hin zu qualitativer Entwicklung, ohne neue soziale Verwerfungen vorangetrieben werden? Wie kann die globalisierte kapitalistisch-fossilistische Ökonomie in eine nachhaltige Bewirtschaftung unseres Planeten transformiert werden? Welche Steuerungsmaßnahmen können oder müssen auf nationaler und europäischer Ebene ergriffen werden, um diese Transformation einzuleiten? Was bedeutet dieser Transformationsprozess für die Lebensstandards in den westlichen Demokratien? Wie können die industrialisierten Staaten des Nordens „ökologische Solidarität“ mit jenen Ländern praktizieren, in denen die Menschen unter den Folgen des Klimawandels ganz besonders leiden? Wie müsste ein neues, globales Ernährungsregime aussehen, das ohne Überausbeutung der Erde die menschenwürdige Existenz all ihrer BewohnerInnen sicherstellt?

Humanistische Bildung und kulturelle Emanzipation: Wie lassen sich Bildungschancen effektiv demokratisieren? Wie kann ganzheitliche Bildung und ästhetische Erziehung verwirklicht werden, die neben den beruflichen Qualifikationen auf Bildung zur Demokratie- und Sozialfähigkeit setzt, also auf eine zeitgenössische humane und technische Bildung, auf Kreativität und auf kulturelle Kompetenz? Wie können Geschlechterstereotype aufgelöst werden, wie lässt sich Toleranz für die Pluralität von Lebensformen und Lebensentwürfen in heterogenen Gesellschaften befördern? Wie können die Produktion und der Konsum von Kulturgütern demokratisiert werden? Wie wird die politische Unabhängigkeit der Medien sichergestellt, wie wird ihr Bildungsauftrag in einer demokratischen Gesellschaft verwirklicht?

Geschlechtergerechtigkeit: Wie können wir Geschlechtergerechtigkeit in allen gesellschaftlichen Zusammenhängen erreichen und es Frauen wie Männern ermöglichen, sich von herkömmlichen, patriarchalischen Rollenklischees zu befreien? Wie Gewalt gegen Frauen und Mädchen weltweit bekämpft werden? Wie kann die bisher weitgehend von Frauen geleistete soziale Reproduktionsarbeit zwischen den Geschlechtern umverteilt und neben der Güterproduktion als gleichwertige Quelle gesellschaftlichen Wohlstands anerkannt werden? Wie kann die ungleiche, hierarchische Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern überwunden werden? Wie lässt sich die ökonomische Unabhängigkeit aller Frauen ermöglichen? Wie können Frauen ihren Anspruch auf gleichberechtigte Partizipation an der politischen Gestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse durchsetzen? Wie lässt sich die kulturelle Norm der Heterosexualität gesellschaftlich durchbrechen?

Demokratischer Sozialstaat: Wie könnensolidarisch finanzierte öffentliche Güter in den Bereichen Bildung und Beratung, Gesundheit und Pflege so organisiert werden, dass sie qualitativ hochwertig und für alle BürgerInnen zugänglich sind? Wie können soziale Grundrechte und persönliche Selbstbestimmung durch öffentliches Handeln für alle garantiert werden? Wie kann die Weiterentwicklung des Sozialstaats von der institutionalisierten industriegesellschaftlichen Arbeits- und Leistungslogik zu einem bürgerrechtlich begründeten Arrangement gelingen, das der Realität der gewandelten Erwerbsarbeitswelt Rechnung trägt? Wie kann Reichtum gerecht verteilt, wie kann Erwerbsarbeit gesellschaftlich umverteilt, wie können unterschiedlichste Formen gesellschaftlich sinnvoller Tätigkeit sozial gesichert werden?Wie kann die Politik der reichen, „entwickelten“ Gesellschaften des „globalen Nordens“ von einem Modus der Verteilung von (meist ausbeuterisch produzierten) Zuwächsen auf einen solchen der Verteilung von materiellen Verlusten umstellen, ohne dass diese Gesellschaften von Ressentiments und Rassismen, Exklusion und Entdemokratisierung zerrissen werden? Wie sieht angesichts dieser Herausforderung ein Begriff von Lebensqualität aus, der nicht ausschließlich auf das ständige Wachstum materiellen Wohlstands zielt?

Kosmopolitismus von unten, Globale Soziale Rechte und Regeln, solidarisches Europa: Wie kann ein menschenrechtsorientierter Kosmopolitismus unter Achtung der multikulturellen Vielfalt in der Weltzivilisation aussehen? Wie können Konflikte gewaltfrei gelöst werden, in einer Welt, in der sich kriegerische Gewalt zunehmend privatisiert und geltenden völkerrechtlichen Normen entzieht? Welcher Gestaltungsraum globaler Prozesse und Phänomene kann supranationalen Organisationen, Institutionen und Regimen zukommen, und welche Gestaltungsräume „von unten“ sind für eine demokratische Gesellschaft unverzichtbar?Wiesieht eine solidarische Aufgabenverteilung zwischen kommunaler, regionaler, nationaler, europäischer und globaler Ebene aus? Wie könnte ein nicht-militärisches Verständnis von Sicherheit aussehen, wie politisch umgesetzt werden?Wie kann eine Reform der Europäischen Union im Geiste der Solidarischen Moderne erreicht werden, wie könnte Europa als Ideenwerkstatt und Brückenkopf alternativer politischer Gestaltungsformen und gesellschaftlicher Entwicklungsprozesse wirken?

Demokratischer Aufbruch und Gesellschaft der Vielfalt: Wie kann die Selbstermächtigung der Menschen befördert werden und wie können wir die Grund- und Freiheitsrechte der BürgerInnen stärken?Wie muss eine institutionelle Demokratie gestaltet werden, in der wieder „alle Macht vom Volke ausgeht“? Wie kann Regulierung so organisiert und demokratisch kontrolliert werden, dass sie Ressource gesellschaftlicher Selbstorganisation ist, anstatt Machtinstrument staatlicher Bevormundung zu sein? Wie können wir angesichts der Tatsache, dass ein großer Teil der Wohnbevölkerung Europas MigrantInnen sind, politische Beteiligungsrechte neu begründen und ausweiten? Wie können die technokratischen Politikverflechtungen zwischen den institutionellen Ebenen überwunden und dezentrale Selbstverwaltungskompetenzen gestärkt werden? Wie können die Parlamente gegenüber der Exekutive gestärkt werden, wie können sich die Parteien reformieren und für die effektive Mitwirkung der BürgerInnen öffnen? Wie und wo können Elemente direkter Demokratie eingeführt oder verbessert werden? Wie lässt sich Wirtschaftsdemokratie befördern? Was ist in einer demokratischen Gesellschaft gegen den institutionalisierten wie den alltäglichen Rassismus zu unternehmen? Auf welche Weise kann das Recht auf Privatheit und persönliche Selbstbestimmung wirksam garantiert werden? Wie lässt sich in einer bunten und heterogenen Gesellschaft, in der keine Lebensführungsnormen verordnet werden, sondern Individualität garantiert wird, Solidarität organisieren?

So viele Fragen, so dringliche Antworten. Es ist an der Zeit, diese Fragen zu stellen – und Antworten zu finden, die politisch zur Entfaltung gebracht werden können.

Die Zeit ist reif für neue Ideen. Das Institut Solidarische Moderne sucht nach ihnen: offen für Neues, vernetzt im Denken, kollektiv im Handeln. Fragend schreiten wir voran – und wir werden Antworten finden, die eine andere Republik, eine andere Gesellschaft, eine andere Welt möglich machen, hier und jetzt, vor unseren Augen, gemeinsam. Dabei wollen wir nicht unter uns bleiben. Wer die Solidarische Moderne mitgestalten will, ist herzlich willkommen!

Ypsilanti schafft rot-rot-grüne Denkfabrik

Die SPD treibt ihren letzten Sargnagel selbst ein

Posted in Parteien, SPD with tags , , , , , on 17. Januar 2010 by denknachmainz

Keine Frage: Die einstige Volkspartei SPD ist de facto am Boden. Selbst wenn Sigmar Gabriel es ernst gemeint haben sollte, Hartz IV korrigieren oder verbessern zu wollen (auf den genauen Wortlaut kommt es schon gar nicht mehr an) – er kam nach Rüttgers! Es schlägt sich sogar schon in den Umfragen nieder: Zwar sinken CDU und FDP massiv in der Wählergunst, aber statt dass es (automatisch) für die SPD bergauf ginge, sinkt sie selbst auch noch weiter ab – auf 22 Prozent!

Und dann das: Der Sprecher der Parteilinken, Björn Böhning, veröffentlicht ein Papier mit „13 Thesen zur Parteireform„. Hier ist dieses Dokument des Scheiterns, der letzte Sargnagel der SPD:

  1. Die SPD muss Mitgliedergewinnung als integrale Parteiarbeit verstehen. Aktives und professionelles Organizing muss ein strategischer Prozess von oben bis nach unten werden.
  2. Die SPD sollte mit ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und ihren Aktiven Zielvereinbarungen zur Mitgliedergewinnung abschließen, zugleich müssen alle ehren- wie hauptamtlichen Funktionäre ihre Arbeit auf den Output zur Mitgliedergewinnung überprüfen.
  3. Aktives Engagement außerhalb der Partei, in Gewerkschaften, Initiativen, der (Pop-) Kultur, in Vereinen, dem Sport oder der Stadtteilinitiative muss als positiver Wettbewerbsfaktor beim innerparteilichen Aufstieg gelten. Als Goldene Regel sollte dienen: Wer nicht außerhalb der Partei mindestens ein Ehrenamt bekleidet, kommt auch als Parteifunktionär nicht infrage.
  4. Wer in eine Partei eintritt, will mitbestimmen. Deshalb muss die Beteiligung der Parteimitglieder erhöht werden. Die SPD sollte ihre Wahlprogramme unter einer breiten inhaltlichen Beteiligung der Parteimitglieder zur Abstimmung stellen. Mitgliederentscheide können dabei helfen.
  5. Der „Mulitfunktionär Genosse“ muss entlastet werden. Die SPD braucht eine radikale Aufgabenkritik. Es ist nicht hinnehmbar (und überfordert uns alle), wenn in einem Kreisverband von weniger als 1500 Mitgliedern durch Kreisvorstände, Ortsvereinssitzungen, Arbeitsgemeinschaftstreffen und geschlossene Veranstaltungen gut 40 innerparteiliche Termine pro Monat zusammenkommen. Genau dies ist aber die Realität.
  6. Wir als SPD müssen 2.0 werden. Eine Partei braucht kommunizierende Röhren in die Gesellschaft jenseits des tradierten – dem Leitbild der „70er Jahre SPD“ entsprechenden – Parteiapparates. Eine Ergänzung um lebendige, gute gemanagte Netzwerke, die nicht nur auf dem Blatt existieren, ist und bleibt richtig. Mit einer stärkeren Vernetzung und Zuwendung zur Netzpolitik machen wir hier einen wichtigen Anfang.
  7. Der soziale Dialog mit der Gesellschaft muss intensiviert werden. Das Konzept „Nah bei den Menschen“ ist richtig, bleibt aber ungenügend, sofern es nicht als Projekt der Gesamtpartei – bis zu Hausbesuchen an der Basis vor Ort – verstanden wird. Wir müssen Ansprechpartner für die Anliegen vor Ort werden.
  8. Die SPD muss wieder aus der Sicht der Bürgerinnen und Bürger argumentieren. Ihre Politik müssen an den konkreten Wünsche, Bedarfe und Problemlagen der Bürger ansetzen und aus dieser Perspektive heraus diskutiert werden. Die SPD muss wieder lernen die Sprache der Menschen zu sprechen.
  9. Hochschuldialoge der SPD müssen durch Berufsschuldialoge ergänzt werden. Eine mehrheitsfähige Volkspartei kann sich nicht nur auf die studentische Intelligenz stützen.
  10. Die SPD als dominierende Kraft der Linken muss Teil gesellschaftlicher Bewegung sein. Es reicht nicht, als Funktionspartei des staatlichen Apparates, Regierungslogik rhetorisch und politisch zu repräsentieren. Die SPD braucht eine andere Attitüde. Wir müssen wieder lernen zu demonstrieren.
  11. Listen und Parlamentskandidaten sollten – sofern personelle Alternativen – bestehen, grundsätzlich per Mitgliederentscheid oder gar Vorwahl aufgestellt werden. Der innerparteiliche Rekrutierungs- und Erneuerungsmechanismus heutiger Prägung ist allerdings an eine Grenze gestoßen. Jeder dritte Platz auf einer Kommunal-, Landes- oder Bundestagsliste sollte daher mit einem Parlamentsneuling besetzt werden.
  12. Die offene Mitgliedschaft ohne Parteibuch im Jugendbereich sollte noch engagierter genutzt werden, um Sympathisanten zu Mitstreitern zu machen. Wer in der SPD oder bei den Jusos an Projekten, Initiativen oder Zukunftswerkstätten mitarbeiten möchte, muss nicht gleich Parteimitglied sein.
  13. Es sollte ein Schulpflichtfach „Medienethik und –mechanik, politische Prozesse und Funktionsweisen der Demokratie“ eingeführt werden. Ein Großteil der politischen Depression der Gesellschaft resultiert aus einem Mangel an Verständnis für politisch-gesellschaftliche Prozesse in der Demokratie.

So, ein bisschen setzen lassen… Ich bitte nochmal zu bedenken: Björn Böhning ist der Sprecher der Parteilinken!! Und nun, so langsam, kann man sich das ja mal – These für These – auf der Zunge zergehen lassen, zuerst die Highlights:

Das Geständnis, dass die SPD erst wieder lernen muss, die Sprache der Menschen zu sprechen, ist de facto der Offenbarungseid! Versteckt ist die daraus folgende zentrale These, dass die SPD wieder aus der Sicht der Bürgerinnen und Bürger argumentieren muss, unter Punkt 8 – reichlich spät für ein Dokument der Parteireform!

Gar als allerletzte „These“ kommt der völlig abwegige Vorschlag daher, mit der Einführung eines Schulpflichtfachs „Medienethik und -mechanik, politische Prozesse und Funktionsweisen der Demokratie“ punkten zu wollen. Wer sollte die Inhalte dieses Schulfachs liefern? Wie soll das Schulfach in den zum G8-Gymnasium eingedampften Lehrplan integriert werden? Wie kann man nur von der „politischen Depression der Gesellschaft“ schwadronieren, die „aus einem Mangel an Verständnis für politisch-gesellschaftliche Prozesse in der Demokratie“ resultiere, wenn man Mitglied der Partei ist, die den allergrößten Mangel an Verständnis für politisch-gesellschaftliche Prozesse in der Demokratie aufweist, einer Partei, die der allergrößten politischen Depression verfallen ist?

Die SPD glaubt offenbar, dass die Mitgliedergewinnung ihr vordringlichstes Problem sei. Ein so unattraktiver, verräterischer, menschenverachtender Haufen wird aber nicht ein neues Mitglied anlocken, solange sich die SPD nicht insgesamt ändert. Woran liegt’s?

Die einzuleitenden Gegenmaßnahmen – dass das an sich richtige Konzept „Nah bei den Menschen“ als Projekt der Gesamtpartei bis zu Hausbesuchen an der Basis vor Ort verstanden werden muss; dass die SPD als SPD 2.0 auch im Netz und als Netzpolitik eine stärkere Vernetzung mit der Zivilgesellschaft angehen muss; dass Parteitermine mehr in der lokalen Öffentlichkeit verankert und jeder Parteifunktionär ein Ehrenamt außerhalb der Partei „bekleiden“ muss – sind reichlich halbherzig, solange alle 5 Minuten ein SPD-Funktionär im Zusammenhang mit Hartz IV den bornierten Spruch von der „im Kern richtigen Reform“ absondert.

Dass es nicht Aufgabe der SPD sein kann, rhetorisch und politisch Regierungslogik zu repräsentieren, sollte zwar ohnehin selbstverständlich sein, dürfte ihr nun aber – nach dem Ausscheiden aus der Regierung – deutlich leichter fallen als in den vergangenen Jahren.

Tatsächlich ist die SPD so dermaßen am Boden, dass sie bei der Bundestagswahl im September 2009 keine einzige Stimme verdient gehabt hätte. Welche Erfolge hätte sie vorzuweisen gehabt? Welche Projekte hätte sie glaubwürdigerweise umzusetzen versprechen können? Dass sie mit 23 Prozent der Wählerstimmen (bei nur 72,2 Prozent Wahlbeteiligung – historischer Tiefstand!) davongekommen ist, beweist eigentlich nur eins: Die Wählerinnen und Wähler wünschen sich ungebrochen eine reformistisch sozialistische, eben eine sozialdemokratische Partei! Das kann ich zwar nicht verstehen, aber sehr wohl nachvollziehen. Diese Wählerinnen und Wähler sollten bekommen, was sie sich wünschen, denn das Resultat eines politischen Selbstmords der SPD wäre ebenso verheerend: Die LINKE, schon jetzt viel zu reformistisch eingestellt, dafür dass sie als revolutionäre Partei des demokratischen Sozialismus angetreten ist, müsste die SPD als reformistische Kraft ersetzen! Dann hätten wir a) keine revolutionäre Partei mehr und b) keine Chance, irgendwem begreiflich zu machen, dass zwischen der (wohl nie völlig untergehenden) SPD und der LINKEN eine Partei zu gründen wäre!

Darum, liebe SPD, raff Dich auf! Werde wieder zu eine sozialdemokratischen Partei! Werft den faschistoiden Ballast namens „Hartz IV“ über Bord, denn erst dann könnt Ihr SPD-Mitglieder Euch wieder „Sozialdemokraten“ nennen!

Diskussionsansatz: Wer eine entsprechende Information hat, möge als Kommentar hinterlegen, ob Björn Böhning seinem eigenen Anspruch genügt und ein Ehrenamt außerhalb der Partei (aktiv) „bekleidet“, und, wenn ja, welches!